Dry by Shusterman Neal & Shusterman Jarrod

Dry by Shusterman Neal & Shusterman Jarrod

Autor:Shusterman, Neal & Shusterman, Jarrod [Neal & Jarrod Shusterman]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783733651534
Herausgeber: FISCHER Kinder- und Jugendbuch E-Books
veröffentlicht: 2019-05-21T22:00:00+00:00


20|Jacqui

Ich finde das Badezimmer, schließe die Tür hinter mir, greife in meine Tasche und nehme eine der beiden orangefarbenen Fläschchen mit dem Antibiotikum heraus. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, mit welchem ich begonnen habe, aber das sollte egal sein. Ich betrachte die grünen Kapseln. Es ist erstaunlich, dass diese kleinen Dinger, die in meiner Handfläche herumkullern, den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Ich wette, sie sind gerade ihr mehrfaches Gewicht in Gold wert. Andererseits kann man für ein Menschenleben keinen Preis festlegen, deswegen schlucke ich sie.

Als Nächstes kommt der Verband. Ich finde den Erste-Hilfe-Kasten unter dem Waschbecken, wie Basil, Kraut, Dill – oder wie auch immer er heißen mag – es beschrieben hat. Der alte Verband bleibt an meinem Arm hängen, als ich ihn abziehen will, die Wunde ist mit dem Stoff verklebt. Zumindest heilt sie. Ich säubere die Stelle sorgfältig mit einem Alkoholtupfer, was weh tut, und ich achte darauf, nichts zu berühren, was mich infizieren könnte. Dann verbinde ich meinen Arm wieder. So gut wie neu.

Anschließend schaue ich mich ein wenig in der ersten Etage um. Das ist mal ein Haus. Unter anderen Umständen würde ich es besetzen, obwohl mir die Einrichtung ein wenig zu spießig ist. Basils Freundin steht bestimmt auf Spitzendeckchen. Wie hieß sie noch gleich? Rosemarie würde passen, denke ich, und muss kichern.

Auf dem Weg zurück zur Treppe gehe ich an den Flügeltüren zum Schlafzimmer vorbei und bemerke, dass eine nur leicht angelehnt ist. Durch den Spalt erkenne ich den Umriss einer Frau, die reglos in einem völlig weißen Bett liegt. Ein beißender Geruch hängt in der Luft. Modrig und verbraucht. Jeder andere würde weglaufen, aber ich werde von dieser Szene so stark angezogen, dass ich nicht widerstehen kann. Der Ruf der Leere. Ich drücke die Tür auf und trete mit einem einzigen Schritt über die Schwelle. Es ist, als würde man sich am Rand einer Klippe in den Wind lehnen.

Über dem Bett hängt ein hübsches Moskitonetz, das zu einer Königin passen würde, hier aber die Krankheit eher festzuhalten als abzuhalten scheint. Daphne – so heißt sie. Diese kranke Kaiserin muss Daphne sein.

Die Stille hier drin ist überwältigend. Und dann merke ich, warum.

Die Frau atmet nicht.

Jetzt zieht mich nicht mehr nur die Leere an. Es ist wie bei einem Autounfall oder wie bei den Trümmern nach einem Tornado. Ich muss näher heran. Ich werde sie nicht berühren. Ich werde die Barriere dieses Netzes nicht überschreiten, aber ich muss sie sehen. Ich muss ihre Brust betrachten und sehen, ob sie sich hebt und senkt. Ich muss es wissen. Der Geruch ist inzwischen grauenvoll. Nach Galle und Schwefel und den ganzen stinkenden Ausdünstungen, gegen die wir ein Leben lang ankämpfen.

Doch bevor ich nah genug am Bett bin, bewegt sie sich ganz leicht unter den Laken. Mein Herz schlägt so laut in der Brust, dass ich fürchte, sie kann es hören, weil sie langsam den Kopf in meine Richtung neigt. Mit dunklen glasigen Augen starrt sie mich an. Sie ist zu schwach zum Sprechen oder um sich überhaupt zu wundern, was eine Fremde in ihrem Schlafzimmer macht.



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